Selbstbestimmtes Ausgehen mit (zugeschriebener) Behinderung und chronischer Erkrankung
Berlin ist weltbekannt für seine vielfältige Club- und Musikszene. Die Vielfalt bezieht aber kaum Menschen mit Behinderungen mit ein. Obwohl etwa 13% der Bevölkerung eine Behinderung haben, sieht man diesen Anteil der Bevölkerung nur selten in Clubs und Bars oder auf Konzerten. Aber Menschen, die einen Rollstuhl nutzen, gehen auch gerne tanzen, gehörlose und blinde Menschen wollen die Nächte durchfeiern und Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen möchten ihre Lieblingsbands live erleben.
Und doch kommt das alles viel zu selten vor, weil ein selbstbestimmtes Ausgehen für Menschen mit Behinderungen an vielen Orten in Berlin unmöglich ist. Sie werden überall durch Barrieren ausgeschlossen, obwohl die Gesellschaft dazu verpflichtet ist, sie nicht zu benachteiligen und ihnen eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Das Grundgesetz ist ganz deutlich im Artikel 3, Absatz 3: “Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.” Und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz stellt in seinem Artikel 19 klar, dass damit nicht nur der Staat gemeint ist, sondern auch die Privatwirtschaft, denn: Eine Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die Massengeschäfte sind, ist unzulässig. Damit fallen alle Bars, Clubs, Diskotheken und andere Veranstaltungsorte unter das Benachteiligungsverbot. Wenn ein Ort oder eine Veranstaltung also für jemanden mit einer Behinderung nicht zugänglich ist, dann wird er oder sie benachteiligt.
Perspektivwechsel: Menschen mit Behinderungen sind nicht behindert, sie werden behindert.
Behinderungen entstehen aus der Interaktion von Menschen mit Beeinträchtigungen mit ihrer Umwelt. Diese Umwelt wird fast immer von Menschen ohne Behinderungen auch für Menschen ohne Behinderungen gestaltet. Darum gibt es überall Barrieren, die Menschen mit Behinderungen daran hindern, am gesellschaftlichen und sozialen Leben teilzunehmen. Eine Rollstuhlfahrerin wird behindert durch die Stufen am Eingang eines Clubs, eine gehörlose Person wird behindert durch fehlende Gebärdensprachdolmetschung bei einer Veranstaltung, eine blinde Person wird behindert durch ein online Ticket-Buchungssystem, das nicht barrierefrei ist.
Es ist nicht die Aufgabe von Menschen mit Behinderungen, die Gesellschaft zu sensibilisieren. Es ist nicht ihre Aufgabe ihr Recht auf selbstbestimmtes Ausgehen einfordern zu müssen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der alle einen Beitrag leisten sollten.
Hier findest du eine juristische Expertise sowieso ein pdf in Leichter Sprache zum Thema.
Online gibt es außerdem die Wheelmap – eine Karte für Menschen im Rollstuhl.
Die juristische Expertise findest du in verschiedene Zielgruppen ausgearbeitet hier:
Für Betreiber*innen von Clubs
und Bars / Veranstalter*innen
von Konzerten:
Oft wird eine völlige Barrierefreiheit aus bautechnischen und finanziellen Gründen nicht kurzfristig hergestellt werden können. Dann gibt es aber trotzdem vieles was getan werden kann, um einen Ort oder eine Veranstaltung barrierearm zu machen. Für kleinere Maßnahmen, die Barrierefreiheit und Barrierearmut herstellen, bietet die Aktion Mensch recht unkompliziert finanzielle Förderungen an.
Lasst einen Barrieren Check vor Ort durchführen, zum Beispiel über das Musicboard oder über den Sozialhelden e.V.
Gibt es auf eurer Website Information zur Zugänglichkeit eures Gebäudes oder Veranstaltungsortes? Es ist wichtig, dass Gäst*innen vorher wissen, wie es vor Ort aussieht.
Wenn euer Club nur teilweise barrierefrei ist, kommuniziert offen nach außen, wo es noch Probleme gibt und wofür Unterstützung angeboten werden kann. Dann kann jeder und jede selber vorher einschätzen, ob die Barrieren ein Problem für sie darstellen oder nicht. Wenn man angibt, dass z.B. zwei Stufen zur Tanzfläche führen, kann jemand im Rollstuhl entscheiden, ob er oder sie das Hindernis selber oder mit Hilfe überwinden kann. Wenn das WC nicht behindertengerecht ist, können sich Gäst*innen darauf einstellen, wenn sie das vorher wissen. Wenn das Ticket-Buchungssystem nicht barrierefrei ist, gebt eine alternative Buchungsmöglichkeit an, z.B. per Telefon.
Ein Beispiel, wie man Informationen zu Barrierefreiheit, Diversität und Inklusion bereitstellen kann, findet man hier: https://www.pop-kultur.berlin/informationen-zur-barrierefreiheit-anlaufstellen-und-awareness-bei-pop-kultur-2019/
Kommuniziert auf der Webseite, wenn es strikte Abläufe gibt (z.B. erst Einlasskontrolle, dann Verzehrkarte, Garderobe, später beim rausgehen bezahlen)
Sorgt dafür, dass eure Website und euer online Buchungssystem barrierefrei sind. Wenn ihr auf eurer Website Informationen in Einfacher Sprache anbietet, ist das nicht nur für Menschen mit Lernschwierigkeiten hilfreich, sondern auch für Menschen, die Deutsch noch lernen.
Macht eure Getränkekarte online und an der Bar als QR Code verfügbar.
Ist euer Club oder Veranstaltungsort auf Wheelmap.org, der Onlinekarte für rollstuhlgerechte Orte zu finden? Dort könnt ihr euren Club eintragen und Informationen über dessen Zugänglichkeit zufügen. Und ihr könnt sehen, wie Menschen mit Behinderungen die Barrierefreiheit eures Ortes bewerten. Wenn ihr bei eurer Bewertung unsicher seid, dann fügt ein Foto hinzu, so können sich Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen selbst ein Bild machen, ob sie die Schwelle vor dem Eingang überwinden können oder nicht.
Lasst euer Personal, vom Management bis zum Security Personal und der Person an der Garderobe, schulen, wie sie sensibel mit Gästen mit Behinderung umgehen können. Bietet Menschen mit Behinderungen Hilfe an, drängt die Hilfe aber nie auf. Z.B. sollte jemand im Rollstuhl nicht ungefragt geschoben werden oder eine blinde Person einfach am Arm genommen werden, um in eine Richtung geleitet zu werden.
Macht Triggerwarnungen (z.B. für Menschen mit Epilepsie wegen einem Stroboskop) auf der Website und am Eingang sichtbar.
Gibt es einen Rückzugsraum, der genutzt werden kann, wenn eine Situation eskaliert oder der als Ruheraum genutzt werden kann, z.B. bei einer Reizüberflutung?
Erarbeitet ein Code of Conduct, wie z.B. https://berlincodeofconduct.org/de/
Markiert relevante Wege und Türen deutlich. Bringt große Piktogramme an Ausgängen und Toiletten an.
Rollstuhlnutzer*innen können an einer hohen Bar nicht bestellen. Ein abgesenkter Bereich an der Bar ist dafür sehr hilfreich. Oder haltet den offenen Bereich an der Seite der Bar frei für Rollstuhlfahrer*innen, zB. mit einer Markierung auf dem Boden. So können sie dort in Kontakt mit dem Barpersonal kommen.
Markiert Treppen und Stufen deutlich – dies kann auch in das Design-Konzept des Clubs eingearbeitet werden z.B. durch leuchtende Farben oder Lichtleisten oder durch fluoreszierendes Klebeband
Für blinde Menschen sind Leitstreifen auf dem Boden, die sich mit dem Langstock ertasten können, und Handläufe an Treppen sehr hilfreich.
Bietet Sitzmöglichkeiten an, wo Rollstuhlfaher*innen und kleinwüchsige Menschen sich mit anderen Clubbesucher*innen unterhalten können.
Sind Rollstuhlfaher*innen, gehörlose Menschen und Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung in eurem Sicherheitskonzept mitbedacht? Können Rollstuhlfahrer*innen ohne fremde Hilfe im Gefahrenfall die Rettungswege in eurem Club zurücklegen? Wenn nicht, dann schreibt die §1 der Betriebsverordnung von Berlin vor, “muss durch die Betreiberin oder den Betreiber im Einvernehmen mit der Berliner Feuerwehr eine Brandschutzordnung aufgestellt und durch Aushang an zentraler Stelle bekannt gemacht werden.”
Weitere Informationen über inklusive Veranstaltungen gibt es auf www.ramp-up.me
Für Menschen mit Behinderungen
und deren Interessenvertretungen:
Menschen mit Behinderungen sind nicht selber dafür verantwortlich, die Bedingungen zu schaffen, damit sie gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Wenn alles richtig laufen würde, würden Politik, Wirtschaft und die Gesellschaft für eine umfassende Barrierefreiheit sorgen. Das passiert aber noch viel zu selten ohne Druck – auch von Menschen mit Behinderungen und ihren Allies. Wenn ihr also die Kapazitäten dafür habt, fordert euer gutes Recht auf selbstbestimmtes Ausgehen ein. Macht euch bemerkbar, informiert einander und erkundigt euch nach der Zugänglichkeit von Clubs und Veranstaltungen. Es gibt immer mehr Clubbetreiber*innen in Berlin, die ihre Verpflichtung inklusiver zu werden, ernst nehmen. Viele sind offen für Feedback, wie und was sie verbessern können. Gebt ihnen Tipps, wie das Ausgehen in Berlin nachhaltig für alle inklusiver und zugänglicher werden kann. Oft sind es schon kleine Dinge, wie eine mobile Rampe am Eingang, große Piktogramme an WC Türen und Ausgängen und deutlich markierte Treppen und Stufen, die Orte wenigstens barrierearm machen. Clubbetreiber*innen und Konzertveranstalter*innen freuen sich natürlich auch über Ermutigung, wenn ihre Orte barrierefreier werden.
Um den Teufelskreis zu durchbrechen und wichtige Informationen miteinander zu teilen, tragt die Berliner Clubs, Bars, Diskotheken und Veranstaltungsorte ein auf Wheelmap.org, der Onlinekarte für rollstuhlgerechte Orte, und markiert sie gemäß ihrer Rollstuhlgerechtigkeit. Fügt Fotos und detaillierte Informationen hinzu, so dass Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen sich selbst ein Bild machen können, ob sie die Schwelle am Eingang überwinden können oder nicht.
Wenn ihr euch mehr in die Thematik einarbeiten möchtet, findet ihr hier ein gutes Beispiel, wie man Informationen zu Barrierefreiheit, Diversität und Inklusion bereitstellen kann: https://www.pop-kultur.berlin/informationen-zur-barrierefreiheit-anlaufstellen-und-awareness-bei-pop-kultur-2019/. Weitere Informationen über inklusive Veranstaltungen gibt es auch auf www.ramp-up.me.
Und was man noch wissen sollte: Damit das Recht auf Barrierefreiheit auch durchsetzbar ist, hat das Berliner Landesgleichberechtigungsgesetz ein Verbandsklagerecht in seinem §15 aufgenommen, womit gegen fehlende bau- und gaststättenrechtliche Barrierefreiheit vorgegangen werden kann. Wenn Menschen mit Behinderung durch die fehlenden Barrierefreiheit benachteiligt werden, kann ein gemeinnütziger Verband oder Verein, der im Landesbeirat für Menschen mit Behinderung vertreten ist, klagen. Dieses Klagerecht steht nur Verbänden und Vereinen zu, nicht den individuellen Menschen mit Behinderungen; der Verband, der nicht die Verletzung eigener Rechte darlegen muss, klagt dann anstelle der benachteiligten Individuen.
Für die Öffentlichkeit:
Artikel 9, Absatz 2 der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Bundesrepublik und somit die Gesellschaft als Ganzes, Zugänglichkeit zu schaffen: “Die Vertragsstaaten treffen außerdem geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen.”
Seid also Allies, d.h. Verbündete, für Menschen mit Behinderungen. Sprecht mit dem Personal in Clubs und Bars über die Barrierefreiheit des Ortes, auch wenn es euch nicht selber betrifft. Tragt die Berliner Clubs, Bars, Diskotheken und Veranstaltungsorte ein auf Wheelmap.org, der Onlinekarte für rollstuhlgerechte Orte, und markiert sie gemäß ihrer Rollstuhlgerechtigkeit. Fügt Fotos und detaillierte Informationen hinzu, so dass Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen sich selbst ein Bild machen können, ob sie die Schwelle am Eingang überwinden können oder nicht.
Wenn ihr jemanden mit Behinderung im Club antrefft, der oder die vielleicht Hilfe braucht, bietet eure Hilfe an, drängt die Hilfe aber nie auf. Z.B. sollte jemand im Rollstuhl nicht ungefragt geschoben werden oder eine blinde Person einfach am Arm genommen werden, um in eine Richtung geleitet zu werden.
Ausgehen ist keine Heldentat, für die Menschen mit Behinderungen gelobt oder bewundert werden wollen. Es kommt noch viel zu häufig vor, dass Menschen mit Behinderungen von Fremden angesprochen werden mit Kommentaren wie, “Ich finde das toll, dass du tanzen gehst trotz deiner Behinderung”, oder “Ich bewundere dich so, dass du abends noch ausgehst”. Solche Kommentare sind ungewollt und völlig unpassend.
Wenn ihr euch mehr in die Thematik einarbeiten möchtet, findet ihr hier ein gutes Beispiel, wie man Informationen zu Barrierefreiheit, Diversität und Inklusion bereitstellen kann: https://www.pop-kultur.berlin/informationen-zur-barrierefreiheit-anlaufstellen-und-awareness-bei-pop-kultur-2019/. Weitere Informationen über inklusive Veranstaltungen gibt es auf www.ramp-up.me.