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Das AGG: Anwendungsbereich

Betreiber_innen von Clubs gehen mit ihren Gästen zivilrechtliche Verträge ein. In diesen Rechtsverhältnissen sind sie verpflichtet, Menschen mit geschützten Diversitätsmerkmalen bei der Begründung, Durchführung und Beendigung des Schuldverhältnisses nicht zu benachteiligen, wenn es sich zum einen um Massengeschäfte handelt. Massengeschäfte sind solche, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Typischerweise werden derartige Massengeschäfte in der Gastronomie und Freizeiteinrichtungen beispielsweise abgeschlossen. Clubs zählen also dazu. Für die vorliegenden Angebote der Betreiber_innen von Clubs ist dies bereits bei mindestens 3 Verträgen anzunehmen. Damit fallen generell die hier zu betrachtenden Konstellationen in Clubs in den Anwendungsbereich.

 

Diskrimierungsformen im AGG

Auf das Vorliegen tatsächlicher Merkmale kommt es für das Vorliegen einer Diskriminierung i. S. d. AGG nicht an. Deutlich wird das an den Kategorien „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft“ (§ 1 AGG). Es gibt keine biologischen Menschenrassen, aber es gibt rassistische Zuschreibungen, die an physische Merkmale wie Haut- und Haarfarbe anknüpfen. Auch bei der ethnischen Herkunft kommt es nicht auf den Nachweis einer familiären Migrationsgeschichte oder das Zugehörigkeitsgefühl zu einer migrantischen Community an.

Dieses Prinzip kommt auch in § 7 Abs. 1 AGG zum Ausdruck. Danach liegt eine Diskriminierung dann vor, wenn die diskriminierende Person die benachteiligte Person einer Kategorie zuordnet, mit der diese sich gar nicht identifiziert. Zentral für Diskriminierung en, auf die das AGG reagiert, sind also Zuordnungen von Menschen zu bestimmten Gruppen und damit verbundene Zuschreibungen (diskriminierende Kategorisierungen).

Einzelne Gründe

Die Merkmale „Rasse und ethnische Herkunft“ lassen sich nicht scharf voneinander abgrenzen. Siehe oben zu Art 3 GG. Das macht nichts, denn sie können als rassistische Diskriminierungen bezeichnet werden. Umfasst sind zunächst unmittelbare Anknüpfungen an das äußere Erscheinungsbild, an den Namen, die Sprache, den Akzent, die Religion oder die Kleidung, mit denen eine bestimmte biologische Abstammung oder ethnokulturelle Herkunft assoziiert wird. Ob eine Person eine bestimmte Herkunft hat, ist nicht ausschlaggebend, es kommt nicht auf tatsächliche Unterschiede, sondern entscheidend auf die sozial stigmatisierende Fremdzuschreibung an. Das ist das Merkmal, das in der Rechtsprechung beim Zugang zu den Angeboten von Clubs eine maßgebliche Rolle spielt. Eine Diskothek, die Gästen den Einlass aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache oder vermeintlichen Herkunft verwehrt, verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des AGG unabhängig davon, ob die Einlasser:innen vermeintlich an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, wie zB „Keine Ausländer heute“. Ob es sich dabei um ausländische Studierende (AG Leipzig 18.05.2012 – 118 C 1036/12) oder Besucher mit deutscher Staatsangehörigkeit handelt, denen ein Migrationshintergrund oder eine nicht deutsche Staatsangehörigkeit zugeschrieben wird (OLG Stuttgart, Urteil vom 12.12.2011 – 10 U 106/11; AG Hannover 14.08.2013 – 462 C 107/4412), spielt keine Rolle. Da hiervon meist nur Männer betroffen sind, handelt es sich dann eine mehrdimensionale Diskriminierung (OLG Stuttgart 12.12.2011 – Az. 10 U 106/11).

 

Nicht vom AGG erfasst sind bisher nach überwiegender Rechtsauffassung Benachteiligungen aufgrund regionaler – zum Beispiel schwäbischer oder bayerischer Herkunft. Ebenso die spezifische und in vielen Fällen stigmatisierende Diskriminierung aufgrund der Herkunft aus der ehemaligen DDR gilt nicht als rassistische bzw. ethnische Diskriminierung i. S. d. AGG (ArbG Stuttgart, Urteil vom 15.04.2010 – 17 Ca 8907/09).

Vom Verbot geschlechtsspezifischer Diskriminierung erfasst sind Benachteiligungen aufgrund von sexistischen Stereotypisierungen und geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen sowie aufgrund der Geschlechtsidentität. Geschützt sind Frauen und Männer, soweit sie unmittelbar oder mittelbar als Frau oder Mann benachteiligt werden. Benachteiligungen aufgrund der Schwangerschaft stellen eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. Diskriminierungen wegen der Geschlechtsidentität treffen meist Menschen, die von der zweigeschlechtlichen Norm abweichen. Trans- und intergeschlechtliche Menschen können sich auf das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts berufen.

Vom Diskriminierungsgrund Religion erfasst ist das tatsächliche Zugehörigkeitsgefühl zu Glaubensgemeinschaften mit einem transzendenten Bezug, z. B. Christentum, Judentum, Islam, Bahai, Buddhismus sowie die Religionsausübung. Vorschriften zum Outfit, z. B. das Verbot, eine Kopfbedeckung zu tragen, die gleichermaßen für alle Beschäftigten oder Gäste gelten, aber bestimmten Religionsangehörigen den Zugang zu Beschäftigung oder in den Club unmöglich machen, können eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion darstellen.

Weltanschauung bedeutet demgegenüber gesamtgesellschaftliche welterklärende Überzeugungen, die sich auf innerweltliche Bezüge stützen. Dazu zählt z. B. der Marxismus. Diskriminierungen aufgrund der Weltanschauung sind nur im arbeitsrechtlichen Teil des AGG geschützt. Allerdings können allgemeine Vorschriften eingreifen, wie Beleidigung etc.

Der Schutz vor Benachteiligungen wegen einer Behinderung wird in den europäischen Richtlinien zur Gleichbehandlung für den Zivilrechtsverkehr nicht gefordert. Im Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes bleibt die Definition in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX maßgeblich, die derjenigen in § 1 AGG zu Grunde liegt. Menschen sind behindert, wenn sie „körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können“. Chronische Krankheiten fallen unter die Behinderung, wenn sie zu Teilhabeeinschränkungen verbunden sind für eine längere Zeit als 6 Monate. Zu beachten ist, dass etwas 80 % der Behinderungen unsichtbar sind und deshalb mit diesem Merkmal besonders sensibel umgegangen werden muss in den Clubs.

Vom Alter umfasst sind alle Lebensalter. Dabei kommt es nicht auf das kalendarische oder das biologische Lebensalter an.

Sexuelle Identität (oder sexuelle Orientierung/sexuelle Ausrichtung) verweist im Unterschied zur Geschlechtsidentität auf intime (sexuelle und emotionale) Beziehungen zu anderen Menschen. Erfasst sind hetero-, bi- und homosexuelle Lebensweisen, aber auch Menschen, die polyamouröse Beziehungen leben. Auch dieses Merkmal ist von großer Bedeutung in den Clubs.

 

Belästigungen sind unerwünschte individuelle Handlungen, die zum Ziel oder zur Folge haben, dass die Würde oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer nach § 1 AGG geschützten Person verletzt wird. Das können verbale oder nonverbale Verhaltensweisen sein. Zum Beispiel permanente „Blondinen-Witze“ in Anwesenheit weiblicher Gäste oder Bedienung. Durch das Verhalten muss ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes feindliches Umfeld entstanden sein. Es kommt auf den Kontext an. Einmalige geringfügige Eingriffe genügen nicht. Sexuelle Belästigungen sind durch das AGG nur im Bereich Beschäftigung und Beruf verboten (vgl. § 3 Abs. 4 S. 1 1. Halbsatz AGG). In Clubs unter Gästen oder gegenüber Gästen greifen die allgemeinen Vorschriften ein.

 

Sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung der Gäste 

Rechtlich bedarf es im Antidiskriminierungsrecht eines sachlichen Grundes für eine Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen. So verlangt es § 20 Abs. 1 Satz 1 AGG. Die Norm enthält dann weitergehend einen nicht abschließenden Katalog von Sachgründen, die als Regelbeispiele für den sachlichen Grund dienen. Die Wahrnehmung von kulturellen und sozialen Angeboten von Menschen mit Behinderungen, wie es in dieser Expertise betrachtet wird, liegt nicht in einem Bereich, der in Judikatur und Literatur engmaschig begleitet wird, wie es beispielsweise im Arbeitsrecht der Fall ist. Dort gibt es auch schon im Gesetz ausgedehntere Verbotsvorschriften. Deshalb soll an dieser Stelle zunächst der sachliche Grund, aus dem Betreiber_innen von Clubs Gäste ausschließen könnten, zunächst allgemein umrissen werden. Darauf aufbauend sollen einzelne Fallkonstellationen im nächsten Abschnitt betrachtet werden.

Ein sachlicher Grund liegt allgemein vor, wenn die Betreiber_innen ein legitimes Ziel verfolgen und die abweichende Behandlung erforderlich und angemessen ist, um dieses Ziel zu erreichen. Menschen mit Diversitäts-Merkmalen dürfen nur aus nachvollziehbaren Gründen anders als Menschen ohne Diversitäts-Merkmal behandelt werden. Anders formuliert, fehlt es an einem sachlichen Grund, wenn die Hautfarbe willkürlich benutzt wird, um farbigen Menschen den Zugang zu den Clubs zu verwehren. Es müssen also Gründe sein, die orientiert am Gleichbehandlungsgedanken auf vernünftigen und einleuchtenden Erwägungen beruhen und zudem nicht gegen verfassungsrechtliche oder andere übergeordnete Wertentscheidungen verstoßen. Den Betreiber_innen steht dabei ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Es ist jedoch nicht die subjektive Sicht jedes einzelnen Betreibers/jeder einzelnen Betreiberin für sein/ihr konkretes Angebot maßgeblich, sondern der objektive Maßstab der allgemeinen Verkehrsanschauung. Im Einzelfall ist abzuwägen, ob es den Betreiber_innen zuzumuten ist, ganz oder in Teilen auf die Unterscheidung anhand des verbotenen Merkmals zB der Behinderung zu verzichten. Hier ist bei der Begründung auch noch einmal zu unterscheiden zwischen einem ausnahmslosen Ausschluss aller Menschen mit dem bestimmten Merkmal. Er benötigt stärkere Argumente, als wenn höhere Anforderungen oder nachteilige Bedingungen an die Zulassung/Einlass von den betreffenden Menschen geknüpft werden. 

Die grobe Leitlinie, die das Bundesarbeitsgericht für eine gegen das allgemeine Gleichstellungsgesetz verstoßende Ungleichbehandlung des Arbeitgebers formuliert hat, kann hierher übertragen werden: bloße Vermutungen oder Befürchtungen sind kein tauglicher sachlicher Grund. Ebenso wenig sind schlechte Erfahrungen mit anderen Trägern eines geschützten Merkmals ausreichend. Einen solchen sachlichen Grund kennt das Antidiskriminierungsrecht nicht. Eine Auffassung fasst dies enger bzw. führt die Argumentation weiter, indem diese schlechten Erfahrungen in die Abwägung eingestellt werden können, die es im Einzelfall erleichtern sollen, die Angemessenheit und Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung nachzuweisen.  Selbst wenn man „schlechte Erfahrungen“ anerkennt, müssen sie eine konkrete rechtliche Qualität auf dem Niveau der in § 19 Abs. 1 AGG erfassten sachlichen Gründe aufweisen, um in die Abwägung eingestellt werden zu können. Dies wird beispielsweise bei dem hier besonders interessierenden sachlichen Grund aus der Wirtschaftlichkeit der Betreiber:innen. Dazu später mehr.

 

Wer welche Rechte der diskriminierte Gast oder der Mitarbeitende für sich beanspruchen kann, muss stets im Einzelfall geprüft werden.

Was ist ein wesentlicher Aspekt bei der Bewertung von Diskriminierungen nach dem AGG?

Warum greift der Schutz von Diversität für den Staat nicht bei Clubs?

Inwiefern lässt sich eine „men-only“ Party rechtlich legitimieren?

Welche Diskriminierungsformen sind laut AGG im Kontext der Geschlechtsidentität geschützt?